Morgens werden die jordanischen Kinder unterrichtet, nachmittags Schülerinnen und Schüler aus Syrien. „Double-Shift“ (Doppelschicht) heißt das Modell, das Jordanien einsetzt, um zusätzlich zu den eigenen Schulkindern hunderttausenden von Flüchtlingskindern aus dem benachbarten Bürgerkriegsland eine Schulbildung zu ermöglichen. Wie gelingt es einem kleinen Land wie Jordanien eine so gewaltige Herausforderung zu meistern? In einem gemeinsamen Forschungsprojekt haben das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), die Universität der Künste (UdK) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) das jordanische Schulsystem in den Blick genommen, das mit seinem Doppelschicht-System zum Vorbild für andere Länder werden könnte, die Kinder von Flüchtlingen und Migranten in ihr Schulsystem aufnehmen möchten. Die Ergebnisse des Projekts werden auf der multimedialen Webseite „Double Shift“ dokumentiert.
Das Doppelschicht-System wird von Jordanien seit 1960 praktiziert – ein Lösungsansatz, um überfüllte Klassenräume öffentlicher Schulen in Jordanien zu entlasten. Heute, mit mehr als 400.000 zusätzlichen Kindern aus Syrien, ist „Double-Shift“ ein effektives Instrument, um ihnen eine Schulbildung zu ermöglichen und sie in die Gesellschaft Jordaniens zu integrieren. Derzeit gibt es 100 Doppelschicht-Schulen im Land. Die interaktive Webseite double-shift.org dokumentiert in Bildern, Videos und Grafiken erstmals umfassend in einer Kombination von sozialwissenschaftlichen und gestalterischen Methoden den Alltag an den jordanischen Schulen in Zeiten des Syrienkonflikts.
„Double Shift“ hat seine Anfänge im „Visual Society Program“, einer Kooperation zwischen dem WZB und der Universität der Künste (UdK), die von David Skopec initiiert wurde. Das Programm zeichnet sich dadurch aus, dass Gestalter/-innen und Sozialwissenschaftler/-innen zusammenarbeiten und forschen. Das Projektteam besteht aus Steffen Huck, dem Direktor der Abteilung Ökonomik des Wandels am WZB, Heike Harmgart, Leiterin des Resident Office der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in Jordanien, den Gestalterinnen Paula Ellguth und Marjam Fels und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Philipp Albert (alle drei WZB). Zweimal war das Team für mehrere Wochen in Jordanien; sie besuchten Schulen, sprachen mit Schulleiterinnen, Vertretern von NGOs (UNICEF, United States Agency for International Development) und Ministerien und interviewten Eltern. In Workshops wurden zudem die Schülerinnen und Schüler nach ihren Wünschen und Zielen befragt.
Das Projekt zeigt: Dem Land gelingt es überwiegend, die Flüchtlingskinder zu integrieren, doch der Schulalltag bleibt wegen fehlender Ressourcen wie Wasser, Räume, Schulmöbel und -materialien eine Herausforderung. Außerdem gibt es auch kritische Stimmen im Land, unter anderem weil die jordanischen und syrischen Kinder meist getrennt unterrichtet werden. „Dennoch ist das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer überwältigend und die Bilanz positiv“, sagt Steffen Huck.
Auch für die jordanische Wirtschaft könnte sich die Investition in Bildung für syrische Flüchtlingskinder als Gewinn erweisen. Vor allem durch das Doppelschicht-System gelingt es dem Land, mit vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand Kinder zu einer Schulbildung zu verhelfen. Die Analyse „benefits through education“ im Projekt zeigt: Wenn den verbleibenden 79.500 registrierten Flüchtlingskindern aus Syrien, die derzeit noch nicht in Schulen integriert sind, Bildung durch das Doppelschichtsystem ermöglicht werden könnte, würde für Jordanien ein wirtschaftlicher Mehrwert von 266 Millionen Dollar entstehen.
Aus Sicht von Heike Harmgart ist die Investition in die Bildung ein wesentlicher Bestandteil für das ressourcenarme Jordanien – die Kinder sind die Zukunft des Landes.
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- 19.6.17 [Letzte Aktualisierung, online seit 20.5.17]
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