Montag, 27. November 2017

[SozialesLeid⇔SozialesLied] Badisches Wiegenlied - Ein Abgesang auf die deutsche 1848er Revolution

Das "Badische Wiegenlied" mit den Versen "Schlaf', mein Kind, schlaf' leis, dort draußen geht der Preuß'..." ist Ludwig Pfaus Abgesang auf die deutsche 1848er Revolution. 

Es ist weit mehr als nur eine Kritik des enttäuschten Revolutionärs und Demokraten an den Zuständen und an der Kartätschen-Reaktion. Das sarkastische Lied, in dem Preußen in der Form eines Schlafliedes als Unterdrücker der Freiheit gebrandmarkt wird drückt aber auch die Hoffnung aus, dass die "Freiheit aufersteht".

Badisches Wiegenlied. Ende 1847 kommt Ludwig Pfau nach Stuttgart und will ein eigenes Satireblatt nach dem Vorbild der "Fliegenden Blätter" machen. Im Januar 1848 erscheint auch tatsächlich die erste Nummer des "Eulenspiegel". Ludwig Pfau engagiert sich für demokratische und republikanische Ziele nicht zuletzt im württembergischen Landesausschuss. Der Text wurde erstmalig am 8. Dezember 1849 im "Eulenspiegel" veröffentlicht.


Kontrafaktur. Meist wird der Text zur Melodie "Schlaf Kindlein Schlaf" gesungen. Oft werden im politischen Lied bekannte Melodien verwendet. Man spricht dann von Kontrafaktur: auf eine bekannte Melodie wird ein neuer Text gesungen. Im allgemeinen geschieht dies aus folgenden Gründen: Die Melodie ist schnell verfügbar, sie muss nicht eigens erlernt werden. Die Vertrautheit und Attraktivität werben für die jeweilige Position. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf den Text, weil die Melodie geläufig ist. Der Inhalt ist leichter zu behalten, weil er durch Melodie und Rhythmus gestützt ist.


Kartätschenprinz.  Das Badische Wiegenlied war ein Beitrag Pfaus zum badisch-pfälzischen Aufstand und zu den Rastatter standrechtlichen Erschießungen der vielen Aufständischen, denen die Flucht in die Schweiz und von dort nach Frankreich oder Amerika nicht gelungen war. Es drückt die Enttäuschung über das Bürgertum, den deutschen Michel aus, das wieder seine Chancen auf Demokratie, Republik und Fortschritt verschläft und "nieder kartäscht"  in das Untertänigkeitsverhältnis zurück fällt. Es zielte  auf die Brutalität mit der Prinz Wilhelm von Preussen, der spätere Deutsche Kaiser Wilhem I., zuerst die Berliner Demonstration und später dann den Aufstand am Oberrhein niedergeschlagen, "nieder kartäscht" hatte, wie die Zeitgenossen meinten, weshalb sie diesen, nun wieder am Deutschen Eck zu Koblenz als Reiterstandbild zu besichtigenden Fürsten den Beinamen "Kartätschenprinz" gaben.

        1. Schlaf', mein Kind, schlaf leis',
        Dort draußen geht der Preuß',
        Deinen Vater hat er umgebracht,
        Deine Mutter hat er arm gemacht,
        Und wer nicht schläft in guter Ruh',
        Dem drückt der Preuß' die Augen zu.

        Refrain:
        Schlaf', mein Kind, schlaf leis',
        Dort draußen geht der Preuß'

        2. Der Preuß' hat eine blut'ge Hand,
        Die streckt er über's badische Land,
        Wir alle müßen stille sein
        Als wie dein Vater unterm Stein.
        Refrain

        3. Zu Rastatt auf der Schanz',
        Da spielt er auf zum Tanz,
        Da spielt er auf mit Pulver und Blei,
        So macht er alle Badener frei.
        Refrain

        4. Gott aber weiß, wie lang er geht,
        Bis dass die Freiheit aufersteht,
        Und wo dein Vater liegt, mein Schatz,
        Da hat noch mancher Preuße Platz.
        Schrei, mein Kindlein, schrei's:
        Dort draußen liegt der Preuß!

Zuerst erschienen im Stuttgarter "Eulenspiegel", 8. Dezember 1849.

Ludwig Pfau. In der Revolution von 1848 wirkte er als Publizist und Herausgeber des satirischen Wochenblattes "Eulenspiegel". Württembergische Gerichte warfen ihm vor, auch in Württemberg - ähnlich wie in Baden - den Umsturz anzustreben. Von verschiedenen Gerichten in Württemberg wurde er verurteilt. Als Mitglied der "Schwäbischen Legion" zog er sich nach der gescheiterten Badischen Revolution im Juli 1849 in die Schweiz zurück. Danach muss das Lied entstanden sein. 1865 kehrte Pfau nach Stuttgart zurück und lebte hier bis 1894.


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Quellenhinweis: Badisches Wiegenlied. Für eine Singstimme mit Begleitung des Piano-Forte.
Zum Besten deutscher politischer Flüchtlinge. [Straßburg 1849.] 3 S.
Liedanfang: "Schlaf’ mein Kind schlaf leis’"
(Standort: Bibliothèque Municipale de Strasbourg: A 13,824)

Faksimiledruck in: Barbara James und Walter Moßmann: Glasbruch 1848. Flugblattlieder und Dokumente einer zerbrochenen Revolution. Darmstadt u. Neuwied: Luchterhand 1983. S. 129-131. (Sammlung Luchterhand. 462)

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