Montag, 5. Juni 2023

[SozialesLeid⇔SozialesLied] Zu Straßburg auf der Schanz - Deserteurslied

Bild: Schweizer Reisläufer überqueren die Alpen. Nach der Eroberung von Cremona verlassen eidg. Söldner heimlich das frz. Heer und ziehen über das Gebirge nach Hause. 1513 (Diebold Schilling der Jüngere) Bildquelle: Wikimedia
Das Lied stammt aus der Spätzeit der Söldnerheere um 1790, als es in Frankreich ebenfalls noch das stehende Heer gab, das sich zumeist aus zwangsrekrutierten Soldaten zusammensetzte. Geschildert wird die Erschießung eines Schweizer Söldners, der zu den Preußen hatte überlaufen wollen. Noch heute stehen "Schweizer Söldner" im Vatikan.

Originalfassung. Das Lied existiert in zwei Fassungen, die wesentlich durch die "Anklage-Strophe" des Deserteurs unterschieden sind. In der ältesten Überlieferung (fliegendes Blatt des ausgehenden 18. Jahrhunderts) wird der Corporal angeklagt, der den Deserteur vermutlich festgenommen oder angezeigt hat.

Text: Zu Straßburg auf der Schanz

Zu Straßburg auf der Schanz,
Da ging mein Trauern an;
da wollt ich den Franzosen desertiern
und wollt es bei den Preußen probiern
ei, das ging nicht an.

Ein Stund wohl in der Nacht
habens mich gefangen gebracht;
Sie führten mich vor des Hauptmanns Haus,
Ach Gott, was soll werden daraus,
Mit mir ist's aus.

Frühmorgens um zehn Uhr
Stellt man mich dem Regimente vor
da soll ich bitten um Pardon,
Und werd doch kriegen meinen Lohn,
Das weiß ich schon.

Ihr Brüder allzumal,
Heut' seht ihr mich zum letztenmal;
Unser Korporal, der gstrenge Mann
ist meines Todes Schuld daran
Das klag ich an.

Ihr Brüder alle drei,
ich bitt, schießt allzugleich
Verschont mein junges Leben nicht,
Schießt, daß das rote Blut rausspritzt,
Das bitt ich euch.

O Himmelskönig!
Nimm du mein Seel dahin,
Nimm sie zu dir in Himmel hinein,
alwo doe lieben Englein sein
Und vergiß nicht mein!

Text: unbekannter Autor, auf fliegenden Blättern , Ende des 18. Jahrhunderts


Glättung und Umdichtung. Alle anderen (und neueren)  Fassungen,  bringen entweder die Nachdichtung "Zu Straßburg auf der langen Brück" oder lassen die Corporal-Strophe aus oder ersetzen sie durch die Fassung mit dem Alphornmotiv, die in der ersten gedruckten Fassung des Liedes, im Wunderhorn, wohl als Umdichtung der Herausgeber erscheint. Hier wird nicht der Corporal angeklagt, sondern die heimweherzeugende Melodie des Alphorns, die den Deserteur verführt, von seiner Truppe wegzulaufen.

Der Schweizer

1. Zu Straßburg auf der Schanz,
Da ging mein Trauern an;
Das Alphorn hört' ich drüben wohl anstimmen,
Ins Vaterland mußt ich hinüberschwimmen,
Das ging ja nicht an.

4. Ihr Brüder allzumal,
Heut' seht ihr mich zum letztenmal;
Der Hirtenbub ist nur schuld daran,
Das Alphorn hat mir's angetan,
Das klag ich an.

Zu Straßburg auf der langen Brück'

Zu Strassburg auf der langen Brück
da stand ich eines Tags
nach Süden wandt ich meinen Blick
in grauem Nebel lag´s
Da dacht´ ich mir: Dahinter
liegt in wunderbarem Reiz
mit seinen Almen, seinen Höh´n
dein Vaterland, die Schweiz

Und wie ich's dacht, und wie ich's sann
da zog ein Knab' vorbei,
der blies in's traute Alpenhorn
der Heimat Melodei.
Da ward mir's kalt, da ward mir's warm
rasch sprang ich in die Flut,
hinauf den Rhein mit starkem Arm
schwamm ich in frischem Mut

Hätt' mich nicht der Sergeant gesehn
da hätt' es keine Not;
jetzt haben sie mich eingebracht
und schiessen heut' mich tot.
O liebe Herren, glaubt mir dies
mich zog ein süsser Ton;
der Knabe, der das Alphorn blies
der trägt die Schuld davon

Nun führt hinaus mich vor das Tor
und messt die fünfzehn Schritt'
und schiesset wacker, doch zuvor
gewährt mir eine Bitt':
Blast mir das Alphorn noch einmal
in wunderbarem Reiz
und darin grüsst mir vieltausendmal
mein Heimatland, die Schweiz

Text: Salomon Mosenthal , vor 1847 (1821-1877)

Verschleierung. Die Corporal-Strophe als sozialkritische Anklage wurde zugunsten der den Sachverhalt poetisch verschleiernden, ideologisch unverdächtigen Alphornfassung im 19. Jahrhundert systematisch unterdrückt. In den Schul- und anderen Gebrauchsliederbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts spielt das Lied in der Alphornfassung, versteht sich, eine bedeutsam Rolle. Allerdings lässt auch diese Fassung eine Frage offen: Was ist das für ein Sinn, einen Menschen wegen Heimwehs umzubringen?

Heimweh ist eine Schweizer Krankheit.  Der Elsässer Mediziner Johannes Hofer war der Erste, der 1688 in seiner Basler Dissertation De Nostalgia vulgo Heimwehe das Problem des Heimwehs erkannte und es zum Status einer Krankheit erhob, die fortan auch „Schweizerkrankheit“ genannt wurde. Symptome waren Entkräftung und Fieber bis hin zum Tod; eine Heilung konnte nur in der Heimreise bestehen.

Dass sich die Schweizer überhaupt so fern von ihrer Heimat befanden, lag an dem regen Handel mit schweizerischen Söldnern, die seit dem 13. Jahrhundert gegen "Provision" an den König von Frankreich und andere Länder verkauft wurden. Dieser als Reislauf bezeichnete Menschenhandel bildete für die Kantone eine wichtige Einnahmequelle. Das mittelhochdeutsche Wort Reis bedeutet hierbei den Aufbruch, das Fortbewegen oder Reisen, in diesem Zusammenhang die Kriegs-Reise, den Kriegszug. Die Schweizer waren also stärker und früher als andere Völker ihrer Heimat entrissen.

Die grosse Zeit der Reisläufer waren die Kriege um das Herzogtum Mailand um 1500. Die Schweizer Schlachten in Italien zählen mit zu den blutigsten Gemetzeln, die sich Söldnerheere je lieferten, wobei nicht selten auf beiden Seiten Schweizer Söldner standen. Eine Wende brachte die Reformation:  In reformierten Kantonen wie Zürich waren Gewerbe und Handel weiter fortgeschritten als in den katholischen Kantonen. Es machte hier wirtschaftlich wenig Sinn, kräftige junge Männer gegen Pensionen ins Ausland zu schicken, um sie als Söldner für auswärtige Mächte töten oder verkrüppeln zu lassen.

Der Zürcher Reformator Zwingli konnte daher 1519 die Abschaffung des Reislaufs in Zürich erreichen. Er verwendete in seinen berühmten Predigten gegen den Solddienst 1525 das Bild von den roten Hüten und Mänteln der römischen Kardinäle. Wenn man sie schüttle, fielen Dukaten und Kronen, wenn man sie auswinde, rinne das Blut der Söhne, Brüder, Väter und Verwandten heraus. Während die Pensionenherren und Hauptleute selbst in Seide, Silber, Gold und Damast aufträten, donnerte Zwingli, verkauften sie ihre Landsleutewie Vieh nach Italien. Weitere Kantone folgten, bis 1859 schließlich ein Bundesratsbeschluss den Reislauf in der gesamten Schweiz verbot. Davon übrig geblieben ist bis heute nur die Schweizer Garde des Vatikans

Die Schweizergarde und die amtliche Schweiz. Nach vatikanischem Recht ist die Schweizergarde eine militärische Formation. Nach einem Beschluss des schweizerischen Bundesrates ist sie eine Hausgarde mit rein polizeilichem Charakter. Diese Deutung bewahrt die Angehörigen der Garde davor, gegen das Militärgesetzbuch zu verstossen, das den Militärdienst für das Ausland unter Strafe stellt. Offiziell halten sich die Gardisten privat in Rom auf. Ihr Dienst wird in keiner Weise als Teil der obligatorischen Militärpflicht angerechnet. Folgerichtig bezahlen sie während dieser Zeit die schweizerische Militärpflichtersatzabgabe.

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